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Reisebericht, Seite 2 von 5

Aus dem Schlaf der ersten Nacht hochgeschreckt, wundern wir uns über ein Geräusch: Pferdehufen unerwartet mitten in der Nacht um 3 Uhr, dort wo sich ansonsten der innerstädtische Autoverkehr drängelt! Die Stadt ist vom üblichen Autoverkehr in dieser Zeit abgeschnitten, da zwischen 2 und 5 Uhr in der Nacht alle Brücken über die Newa wegen des Schiffsverkehres hochgeklappt sind. Wie wir später noch bei den längeren nächtlichen Ausflügen in die Stadt bemerken werden, ist es wohl der letzte Schrei, für einige Teenager von reichen Russen, mit dem Pferd nachts durch die halbwegs autofreie Innenstadt zu galoppieren. Dieses ungewohnte Bild der nächtlichen Reiter in den Gassen vor den beleuchteten Prachtbauten passt zum Mythos der Stadt, die, wie man sagt, Traum und Alptraum beherbergen soll.

Der erste Tag. Nach dem Frühstück mit frischen Sachen vom Lande, die uns extra von Mascha, Anatolijs Tochter, in die Stadt gebracht wurden, machen wir uns auf den Weg zur Arbeit. Wir fahren mit der Metro in einen Außenbezirk, dort sind wir verabredet.

Sankt Petersburg hat die tiefste Metro der Welt. Bis 100m tief gehen die breiten Rolltreppen, man sieht das Ende kaum. Sie führen in die mit Marmor und Kronleuchtern ausgestatteten Paläste des Volkes. Die in der Stalinzeit gebaute Metro ist das pulsierende Adersystem dieser Großstadt. Ganz geordnet bewegen sich dicht an dicht die Menschenmassen durch die breiten und großzügig angelegten Tunnelsysteme im Untergrund der Sümpfe. Die Züge kommen jede halbe Minute.

Wir fahren mit Anatolijs Baumpflegerbuss weiter entlang des Finnischen Meeresbusens in die großen Schloss- und Parkanlagen Alexandria und Peterhof zu einem sogenannten Schloss Cottage. Dieses ist die ehemalige Residenz der Gemahlin des Zaren Nikolaus I. In mitten des riesigen Parks an einer im 2. Weltkrieg gesprengten Brücke, sollen wir Eichen vom Totholz befreien. Die Vitalität der meisten Bäume ist etwas schlechter als bei uns. Man sieht viele Stieleichen. Die Vegetation am Boden verrät den feuchten Standort.

Die riesigen Parkanlagen sind damals von berühmten russischen und europäischen Gartenarchitekten für die Zaren und die Aristokratie angelegt worden. Viele Bäume wurden importiert. Man findet Bereiche, die nach barocken Vorbildern von Versailles gestaltet wurden. Die größten und weitläufigsten Teile entsprechen jedoch dem Stiele des englischen Landschafsparks.

Wir sollen nach Anatolij jedes kleinste Totästchen entfernen. Bei unseren Kronenpflegeschnitten in Hamburg belassen wir hin und wieder solche kleinen Zweige von 1 bis 2 cm Durchmesser. Wir nennen diese Vogeltrittholz. Anatolij sei ein strenger Chef, wie wir später noch hören werden. Wir putzen also die 4 Stieleichen ganz sauber. Eine vorsorgliche Einkürzung überlanger Äste hält Anatolij bei diesen Bäumen für nicht so wichtig.

Als Jasper einen größeren Totast mit der Motorsäge entfernt, kommt es zur Diskussion. Wir sollten weiter zum Stamm sägen, also in den Astkragen.

Die Erkenntnisse von Shigo über natürliche, baumeigene Schutzzonen im Astkragen sind Anatolij wahrscheinlich unbekannt. Der amerikanische Forstwissenschaftler Shigo hatte vor ca.15 bis 20 Jahren bei uns mit seinen Erkenntnissen über baumeigene Abwehrfähigkeiten den gesamten Katalog unserer Arbeitstechniken revolutioniert. Der Baum selbst erzeugt bei Verwundungen in bestimmten Zonen Substanzen, die einer Besiedelung und einem Abbau durch Pilze entgegenwirken. Man belässt deshalb besser diese Gewebe im Astkragen.

Wir sind also beim Motto unserer Reise angelangt!

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